Blues in Deutschland – Die Geschichte
Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern schwappte die Erfolgswelle des Blues erst spät nach Deutschland hinüber. In den Nachkriegsjahren begannen sich die ersten Künstler mit dieser amerikanischen Musikrichtung zu beschäftigen, zu einer Zeit, als der amerikanische Blues seine erfolgreichste Phase schon beinahe hinter sich hatte. Ähnlich wie in England gründeten sich zu dieser Zeit auch in Deutschland die ersten Bluesgruppen, die erfolgreich versuchten, ihre zumeist schwarzen Vorbilder aus den Vereinigten Staaten zu imitieren. Ende der fünfziger Jahre fand das erste American Folk Blues Festival statt, bei dem zwei deutsche Jazzfans, Horst Lippmann und Fritz Rau, feststellen mussten, wie wenig das europäische Publikum eigentlich vom Blues verstand. Damals galt der Blues noch als Quelle des Jazz, mit Ausnahme des erst kurz vorher verstorbenen Big Bill Broonzy, der als der „letzte Bluessänger“ bezeichnet wurde. Zu dieser Zeit befand sich die amerikanische Bluesbewegung auf ihrem Höhepunkt, in Deutschland und Europa allgemein war diese Musikrichtung kaum vertreten.
Aus diesem Grund beschlossen Lippmann und Rau, eine Präsentation des noch lebendigen Blues zusammenzustellen und in Europa auf Tour zu gehen, die 1962 begann. Mit dabei waren John Lee Hooker, Memphis Slim, Sonny Terry und Brownie McGhee, Willie Dixon, Shakey Jake, T-Bone Walker und Helen Humes. Die Tour wurde ein großer Erfolg, auch aus kommerzieller Hinsicht. Sie begeisterte die Massen langsam immer mehr für den Blues, und zwar nicht nur Jazzfans sondern auch Rock and Roll Freunde, die im Blues eine der wichtigsten Quellen ihrer Lieblingsmusik erkannten. Man wurde sich zu dieser Zeit auch der britischen Blues Bands bewusst und noch heute bezeichnen viele deutsche Blueskünstler nicht etwa die amerikanischen Bluesgruppen als ihre Vorbilder sondern deren britischen Imitationen und Künstler wie Peter Green, John Mayall oder Eric Clapton.
Diese Entwicklungen führten dazu, dass sich Anfang der 70er Jahre schon einige Bluesgruppen und Bluesmen im deutschsprachigen Raum etabliert hatten. Hierzu gehörten die Frankfurter City Blues Band, Das Dritte Ohr, Lösekes Bluesgang, Blues Company, Al Jones Bluesband, Martin Philippi, Gerhard Engbarth, Richard Bargel und zahlreiche weitere Gruppen und Musiker. In den Jazz- und Jugendclubs des Landes waren ihre Konzerte ausverkauft und zunächst wurden amerikanische Künstler wie Willie Dixon, Muddy Waters, B.B. King und andere Stars imitiert. Doch nicht nur der schwarze Blues sondern auch der elektrische weiße Blues von Interpreten wie Johnny Winter und der Allman Brothers Band inspirierte viele deutsche Künstler, ebenso wie der Folk-Blues.
Die Hildesheimer Band Das Dritte Ohr, bestehend aus Udo Wolff, Gesang und Mundharmonika, und Tom Schrader, Gitarre, feierte in den siebziger Jahren in Deutschland große Erfolge in den Kreisen der Blues- und Jazzfans. Sie tourten mit Bands wie der Osnabrücker Blues Company, der Rainer Baumann Band aus Hamburg, der PeeWee Bluesgang aus Hildesheim und der Münchener Al Jones Bluesband durch das Land und präsentierten den authentischen Blues im eigenen Stil. Manche unter ihnen, so wie das Dritte Ohr, Gerhardt Engbarth und die Charly Schreckschuss Band trugen den Blues auch in deutscher Sprache vor. Zu dieser Zeit hatte sich das Vorurteil, deutsch und Blues würde sich gegenseitig ausschließen, bereits in Luft aufgelöst. Wenn man Blues hörte, dachte man inzwischen nicht mehr nur an Städte wie Chicago oder Detroit sondern auch an Hildesheim oder München.
Doch im Laufe der 70er Jahre nahm nicht nur das Interesse am deutschen Blues zu. Auch amerikanische Bands und schwarze Bluesman begannen in Deutschland aufzutreten und auf Tour zu gehen und es bildeten sich immer mehr kleine Plattenfirmen und Produzenten, die begannen, die deutsche Bluesszene professionell zu vermarkten. Ein Beispiel hierfür ist das Ornament Label von Siegfried Christmann. Hiererschienen die Aufnahmen von John Lee Hooker und Champion Jack Dupree, sowie Alben von Blues Delivery und der Dusty Broom Blues Band. Das Dritt Ohr und die Delta Blues Band veröffentlichten über die Plattenfirma Pläne ihre Hits, produziert von Teldec, während sich L+R Records Gerhardt Engelhardt angenommen hatte.
Ende der 70er wurde in Frankfurt ein Freundeskreis der Bluesinteressierten unter dem Namen German Blues Circle, gegründet. Dieser verlegte ein monatliches Informationsblatt und das Magazin Blues Forum. Neben den erfolgreichen AFBFs der sechziger und siebziger Jahre fanden auch immer mehr regionale Bluesfestivals in Städten wie Lahnstein, Unna, Leverkusen und Bremen statt. Hier traten nicht nur die deutschen Bluesvertreter auf sondern auch amerikanische Größen der Branche, was den Kontakt zu originären Bluesmusikern verstärkte. Zudem bildeten sich die ersten großen Bluesplattenfirmen, die heute noch Erfolge feiern können, unter anderem Crosscut Records, Document und Stumble Records, die als führende Blueslabel im deutschsprachigen Raum gelten.
Der Erfolg des Blues in Deutschland wurde bald auch unter amerikanischen Künstlern bekannt, was einige schwarze Bluesmen dazu veranlasste, sich in Europa und insbesondere in Deutschland niederzulassen. Hierzu gehörten Champion Jack Dupree, den es 1975 nach Hannover verschlug, Gitarrist Louisiana Reed, der Anfang der 80er ebenfalls nach Hannover kam, Saxophonist Gary Wiggins aus Detroit, der vom Bluespianist Christian Rannenberg für mehrere Touren nach Deutschland geholt wurde und immer noch hier lebt und die Sänger Ed Davis und Angela Brown. Ihnen folgten weiße Bluesmen wie Jim Kahr, Steve Baken Matt Walsh oder Tom Shaka.
Der Boogie Woogie nahm einen wichtigen Platz in der Blues Entwicklung im deutschsprachigen Raum ein. Bekannte Interpreten sind hier Toby Fichelscher und Leopold von Knobelsdorff mit der Boogie Woogie Company in Köln. Inspiriert wurden sie und viele junge Jazzpianisten von den amerikanischen Größen wie Albert Ammons oder Pete Johnson, Memphis Slim, Champion Jack Dupree, Sunnyland Slim und anderen. Die Künstler Vince Weber, Axel Zwingenberger und Joe Penzlin etablierten diesen Musikstil in Deutschland und inspirieren somit noch immer erfolgreiche junge Pianisten wie beispielsweise Christian Christi, Christian Willisohn, Martin Schmidt, Edwin Kimmler, Christian Bleiming oder Ulli Kron.
Zu Beginn des Blues Booms in Deutschland waren es hauptsächlich die Blues Bands aus dem Raum Chicago Blues, Folk Blues und weißem Blues, die als Inspirationen wirkten, doch im Verlauf der siebziger und achtziger Jahre kamen lokal geprägte Bluesstile aus Texas, New Orleans und Memphis mit dazu, was in vielen Fällen auch damit zu tun hatte, dass die entsprechenden Künstler aus diesen Gegenden nach Deutschland kamen, um auf Tour zu gehen oder an Festivals teilnahmen und so die regionalen Interpreten vor Ort inspirierten. Die österreichische Mojo Blues Band beispielsweise verarbeitete Chicago Blues und Zydeco, Swamp Blues und Westcoast Rhythm & Blues und wurde damit weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt.
Auch heute ist die Bluesmusik in Deutschland nicht in Vergessenheit geraten. Interpreten wie Thomas Feldmann, Dieter Kropp oder Klaus „Mojo“ Kilian pflegen die Szene hierzulande und stehen ihren Vorbildern der frühen Blueszeit um nichts nach. In den deutschen Großstädten gibt es zahlreiche lokale Bluesszenen und zu den aktiven Bands hierzulande zählen noch immer Das Dritte Ohr, die Mojo Blues Band oder Blues Company, sowie die Gruppen B.B. & The Blues Shacks, The Bluescasters, Cadillac Blues Band, Stormy Monday Band, Friend´n Fellow, Richard Bargel, Christian Rannnenberg, The Dynacasters, Matchbox Blues Band und Dieter Kropp.
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